Cyberspace, Cyberlernen, Cyberkultur, Cyberarchitektur

von Maia Engeli, Assistenzprofessorin für Architektur & CAAD, ETH Zürich

Das Internet ist zu einer Realität geworden mit welcher wir uns auseinandersetzen und anfreunden müssen, denn es bestimmt in immer stärkeren Masse unser tägliches Umfeld. In diesem Artikel geht es darum aufzuzeigen, dass die "Cyberkultur" des Internets verstanden werden muss, um es als Medium zum Lehren, Lernen, Arbeiten und Forschen einzusetzen.

Cyberspace

Cyberspace ist ein Zusammensetzung aus Kybernetik (Cybernetics) und Space. Der Begriff Kybernetik stammt ursprünglich aus dem Griechischen. Er wurde 1948 von Norbert Wiener aufgegriffen und neu definiert als "The science of control and communications in the animal and machine". William Gibson hat 1984 in seinem Roman "Neuromancer" den Begriff Cyberspace geprägt. Er umschreibt ihn als "the mass consensual hallucination in which humans all over the planet meet, converse, and exchange information". Der kybernetische Raum ist ein Informations- und Kommunikationsraum und nicht äquivalent zu Virtual Reality. Der grösste und beliebteste Cyberspace ist heute das Internet, welches sich dank der Erfindung des WWW 1993 zu seiner heutigen Popularität entwickeln konnte. Das WWW hat ermöglicht, dass Gibsons Fiktion des Cyberspace zu einer Realität wurde.

Um Visionen für die Nutzung des Internets zu entwickeln, ist solches Hintergrundwissen sehr nützlich. Die Ideen der Visionäre und Pioniere bilden die Basis, auf der wir heute aufbauen können. Egal, ob das Internet als Lernumgebung, Arbeitsumgebung oder zum Vergnügen dient, es ist ein soziales Umfeld mit eigenen Möglichkeiten, Regeln, eigener Kultur und Werten, die man erst kennenlernen muss.

Lernen, Kultur, Kommunikation

Lernen findet in einem zeitlichen, örtlichen, sozialen und kulturellen Kontext statt. Wissen, zum Beispiel zur Umwelt, zur Gentechnologie, zum Universum oder zur Nanotechnologie, wird erzeugt, korrigiert und präzisiert. Einiges was heute zum Allgemeinwissen zählt, war aber zu Beginn des Jahrhunderts nicht mal den spezialisierten Forschern bekannt. Das Allgemeinwissen ist auch je nach örtlichem und sozialem Kontext verschieden. Die Medien und das Internet tragen zu einer gewissen globalen Homogenisierung bei. Innerhalb des Internet gibt es aber auch verschiedene Gemeinschaften mit unterschiedlichen Interessen.

Der Lernprozess geht über den reinen Wissenserwerb hinaus, es soll jeweils das "richtige" Wissen erworben werden. Die Fähigkeit auszuwählen, was gelernt werden soll ist ebenso relevant, wie das eigentliche Aneignen von Wissen. Lernen bedeutet auch Erfahrungen zu sammeln, damit auf neue Anforderungen reagiert werden kann. Und sogar das selbständige Erzeugen von Wissen kann Teil des Lernprozesses sein.

Kommunikation spielt eine wichtige Rolle beim Lehren und Lernen, sei es zur direkten Vermittlung von Wissen, um im Dialog zu neuen Erkenntnissen zu gelangen oder um Erkenntnisse zu überprüfen.

Bei der Gestaltung von internetbasierten Lernumgebungen müssen wir uns mit dem Verhalten der Leute auf dem Internet auseinandersetzen. wichtige Fragen sind: Wie kommunizieren Leute im Internet? Welche Strategien sind erfolgreich um eine Auseinandersetzung mit einem Thema zu provozieren? Wie gewinne ich Aufmerksamkeit im Internet? Das Internet ist ein Medium, wo gesurft wird, also schnell von einem Inhalt zum nächsten gewechselt wird. Dieses Verhalten zeigt sich auch in internetbasierten Lernumgebungen. Die Herausforderung für die Lehrenden besteht darin, trotzdem eine vertiefte Auseinandersetzung herbeizuführen.

Vernetzte Lernumgebungen

Wenn das Internet als Lernumgebung benutzt werden soll, dann darf dies nicht zu oberflächlich angegangen werden. Ein Buch online zu bringen und es als Hypertext zu gestalten, ist eine interessante Möglichkeit, die gewisse Vorteile aber auch Nachteile gegenüber dem gedruckten Buch hat. Die Annahme, dass die Studierenden das online Buch bevorzugen und damit besser lernen hat sich nicht bestätigt. Lerneinheiten mit Lernkontrolle, zum Beispiel multiple-choice Tests, werden von verschiedenen Seiten sehr gelobt, aber auch hier kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass die Studierenden sie weniger attraktiv finden, als diejenigen, die Monate in die Implementation investiert haben. Die Mensch-Computer Kommunikation ist weniger vielschichtig, als die Mensch-Mensch Kommunikation. Deshalb ist es wichtig das Internet als Kommunikationsmedium zu nutzen. Lernumgebungen sollen dynamische, sich entwickelnde Informations- und Kommunikationsräume sein, wo die Ideen zwischen verschiedenen Individuen fliessen können.

Hochschulabsolventen und -absolventinnen sollen fähig sein sich selbständig weiterzubilden. Sie müssen antizipieren können, was wichtig sein wird; welches Wissen sie sich persönlich aneignen müssen und wo sie auf die Zusammenarbeit mit anderen setzen können. Die dafür notwendigen Strategien können im akademischen Umfeld, wo Teamwork und Ideenaustausch in freiem Rahmen möglich ist, sehr gut erlernt werden. Das Internet als weltweites Informations- uns Kommunikationsmedium potenziert diese Möglichkeiten und ist ein wichtiger Teil heutiger und zukünftiger Arbeitsumgebungen. Eine valable persönliche Lernstrategie muss deshalb die Möglichkeiten des Internets einbeziehen.

Fünf Beispiele

An der Professur für Architektur und CAAD werden für alle Kurse spezielle Umgebungen implementiert. Fünf davon sollen hier kurz vorgestellt werden. Wichtig ist zu bemerken, dass diese Kurse nicht nur über das Netz abgehalten werden, sondern auch eine wöchentliche Vorlesung einschliessen, sowie persönliche Betreuung durch Assistierende. Die speziell konzipierten digitalen Umgebungen spielen die zentrale Rolle, zusätzlich zu ihrer Funktion als Übungsumfeld bieten sie die Einführung in Mechanismen und Möglichkeiten der digitalen Vernetzung.

Informationslandschaft (http://alterego.arch.ethz.ch) In diesem Kurs im ersten Semester des Architekturstudiums gestalten die rund 200 Studierenden gemeinsam eine zweidimensionale, visuelle Landschaft. Die Studierenden arbeiten in Zweiergruppen und können jeweils nur eine kleines Rechteck der gesamten Landschaft selber gestalten, deshalb spielt die Kommunikation auf der visuellen und der verbalen Ebene eine wichtige Rolle für den kollektiven Formungsprozess. Im zweiten Übungsschritt werden spezielle visuelle Merkmale mit sorgfältig ausgewählter Information zu Architektur, Kunst und Philosophie verknüpft.

Informationslandschaft: Ausgangslage, Zwischenstufe und Endversion. Implementation: André Müller.

Informationslandschaft: Beispiel der Kommunikation, die das Mitmachen an einer gemeinsamen Aktion herbeiführt. Implementation: André Müller.

Informationslandschaft: Das Kommunikationsinterface. Implementation: André Müller.

Informationslandschaft: Ein Ausschnitt aus der Landschaft mit den dazugehörenden Verknüpfungen. Gestaltung: Hayri Karamuk und Andreas Friedrich, Implementation: André Müller.

Territorium (http://alterego.arch.ethz.ch) Im zweiten Semester heisst das Thema "Das Digitale Territorium". Im Digitalen muss Information effizient gestaltet werden, deshalb wird in der ersten Übung mit verschiedenen Mitteln die Information eines geographischen Territoriums in einem Muster kondensiert. Im folgenden geht es dann um eine optimale Vernetzung, jede Gruppe kann 4 Nachbarn wählen und wird somit zu deren Sponsor. Schonungslos zeigen wir die "Winners and Loosers" des Systems. In der dritten Übung werden virtuelle Innenwelten mit Verbindungen zu den Nachbarn gestaltet. Das digitale Territorium wird nun zu einem kleinen Universum, wo unendliche Reisen durch phantastische Räume möglich sind.

Territorium: Die Liste der Winners und Loosers, einmal berechnet aufgrund der "Sponsoren" und einmal aufgrund der Vernetzheit im System. Implementation: Andreas Weder.

Raumgeschichten und Hyperräume (http://alterego.arch.ethz.ch) Hier werden zwei aufeinanderfolgende Kurse in einer Umgebung kombiniert. Es geht um das Erforschen der Möglichkeiten architektonische Ideen mit dem Computer zu vermitteln. Zuerst beschränken wir uns auf die sequentielle Form der Geschichte. Mit Bildern, Animationen und Worten werden Raumgeschichten erzählt. Als Räume dienen die L-förmigen Volumen der Skulptur "Der Volumenzusammenhang" von George Vantongerloo. Sie werden von innen betrachtet und mit Ereignissen gefüllt. Bernhard Tschumi sagt, dass Architektur ohne das Ereignis nicht existieren kann. In diesem Kurs werden abstrakte Räume durch Ereignisse zu Architektur. Im zweiten Kurs werden Teile der vorhandenen Geschichten zu neuen Geschichten verknüpft und aus einer Vielzahl verwobener Erzählstränge entsteht nun ein "Hypergebilde".

Raumgeschichten: Die Skulptur der Volumenzusammenhang von George Vontengerloo bietet die Räume für die Geschichten

Raumgeschichten: Impression von Kai Strehlke

Raumgeschichten: Impression von Kai Strehlke

Phase(X) (http://space.arch.ethz.ch) ist die erste Internet-Kursumgebung welche an der Professur für Architektur und CAAD implementiert wurde und zwar im Wintersemester 1996/97. Der ursprüngliche Kurs bestand aus zehn Übungsschritten, sogennanten Phasen. Mit dem Ziel den Ideenfluss zu intensivieren wurde die vernetzte Umgebung so implementiert, dass die Studierenden als Grundlage für eine Phase immer auf dem Resultat eines anderen Studierenden aus der vorherigen Phase aufbauen mussten. Während dem Prozess sammelt eine Datenbank die anfallende Information, damit sie sichtbar gemacht werden kann und eine "transparente" Umgebung ermöglicht wird.

Übersicht: Eine berechnete Graphik, welche die Phasen und Verknüpfungen im Phase(x) Kurs zeigt. Implementation: Patrick Sibenaler

Prozesssicht: Eine Sequenz von Arbeiten von verschiedenen Autoren im Phase(x) Kurs. Systemimplementation: Urs Hirschberg und Fabio Gramazio.

Fokussierte Sicht: Ein Beitrag im Phase(x) Kurs, rechts ist der Vorgänger, links die Nachfolger zu sehen. Arbeit Monn Gieri, Systemimplementation: Urs Hirschberg und Fabio Gramazio.

fake.space (http://space.arch.ethz.ch) ist ein Projekt und eine Gemeinschaft zur kollektiven Erforschung von "fake.space"; gefälschtem, virtuellem, simuliertem, vorgespiegeltem, imaginärem Raum. Die Studierenden erkunden dieses Thema und bauen zusammen das fake.space Knotensystem auf. Das Grundprinzip ist das des Kontexts: jede Arbeit muss an eine bestehende angehängt werden und inhaltlich auf sie Bezug nehmen. Das System wächst vom zentralen "Connector Node" nach aussen. Das Resultat ist ein kollektiver Erzählraum bestehend aus einer Fülle von Bildern, Modellen, Animationen, Texten und Geschichten zum Thema Raum und Raumdarstellung.

fake.space: Eine berechnete Übersicht des Knotensystems in verschiedenen Vergrösserungen. Implementation: Fabio Gramazio

Erkenntnisse

Sichten, Transparenz und Verständnis: Verschiedene Sichten auf die Information im System sind ein wichtiger Aspekt um Transparenz zu schaffen und Verständnis zu ermöglichen. Grundsätzlich können drei Arten von Sichten unterschieden werden: Übersichten, Prozesssichten und fokussierte Sichten.

Übersichten erlauben das Lesen von Informationen auf einer Meta-Ebene, wo Zusammenhänge und Strukturen sichtbar gemacht werden können. Übersichten sind statische oder dynamische Landkarten eines Informationsraumes und dienen der Orientierung.

Prozesssichten zeigen die Entwicklungen, welche im Laufe der Zeit stattgefunden haben. Um Informationen einordnen zu können und um an einem kollektiven Prozess mitarbeiten zu können ist der zeitliche Kontext ebenso bedeutend wie der inhaltliche Kontext.

Fokussierte Sichten erlauben das Lesen der eigentlichen Informationseinheiten. Das Surfen im Internet findet in dieser Weise statt, man angelt sich entlang von Verknüpfungen von einem Dokument zum nächsten. Fokussierte Sichten können weiter unterteilt werden in thematische, aufgabenorientierte oder prozessorientierte. Wichtig sind fokussierte Sichten, welche die Beiträge eines Autors oder einer Autorin zeigen. Sie sind ein wichtiges Mittel zur Identifikation des Einzelnen im kollektiv gestalteten und benutzten Informationsraum.

Prozesse, Wissenstransfer und Identität: Die beschriebenen Lernumgebungen sind zu Beginn des Semesters leere Strukturen. Durch den, mittels der Übungen initiierten, kollektiven Prozess werden sie mit Information gefüllt. Während dem Semester sind sie lebendig. Die Aktivität macht sie spannend, jeden Tag gibt es Neues zu entdecken. Während des kollektiven Prozesses ist die Wahrscheinlichkeit eine Reaktion auf die eigene Arbeit zu erhalten am grössten. Dies ist ein wichtiger Aspekt, denn bei der Kommunikation in der Vernetzung geht es nicht um Anonymität sondern um die Auseinandersetzung mit einer Identität, welche sich nicht über den physischen Körper definiert, sondern durch die eigenen Beiträge.

Mechanismen, Effekte und Instinkte: Das Internet ist keine heile Welt, im Gegenteil. Es gibt hier wenig Gesetze und es ist von Personen mit unterschiedlichen ethischen und moralischen Grundsätzen bevölkert. Wir haben das Internet auch schon als digitalen Dschungel bezeichnet um dann die Frage nach Überlebensstrategien zu stellen, dabei aber feststellen müssen, dass nicht Strategien sondern Instinkte notwendig sind um mit der rasanten Entwicklung mithalten zu können. In Lernumgebungen lassen sich die guten und die schlechten Seiten des Internets replizieren. In diesen Umgebungen dürfen "Winners and Loosers" identifiziert werden, um die Instinkte zu trainieren und um durch die Auseinandersetzung zu einem kreativen Umgang mit solchen Phänomenen zu finden.

Informationsarchitektur

Vernetzte Lernumgebungen werden als Informationsräume wahrgenommen und  verdienen deshalb auch eine eigene Architektur, eine Informationsarchitektur gestaltet von Informationsarchitekten. Richard Wurman definiert sie in der Einleitung zum Buch "Information Architects" als: 1) The individual who organizes the patterns inherent in data, making the complex clear. 2) A person who creates the structure or map of information which allows others to find their personal paths to knowledge. 3) The emerging 21st century professional occupation addressing the needs of the age focused upon clarity, human understanding, and the science of the organization of information.

Das Ziel dieser Architektur ist nicht die Simulation physischer Umgebungen sondern das Zugänglichmachen von Information. Eduard Tufte sagt "In an architecture of content the information becomes the interface". Information muss so gestaltet werden, dass €sthetik, Inhalt, Funktionalität und Struktur in einem symbiotischen Verhältnis stehen.

Cyberspace, erst ein Anfang

Das Thema vernetzter digitaler Lernumgebungen ist noch lange nicht ausgereizt. Wir stecken mitten im Experimentieren mit dem neuen Medium und es hat noch viel Potential für Erfindungen. Um weitere Fortschritte zu erzielen muss das Internet als sozialer, kultureller Raum wahrgenommen werden. Anstelle abschliessender Gedanken bevorzuge ich es deshalb als Startpunkte drei Bücher zu empfehlen, welche, jedes auf seine Art, die Kultur des Internets zum Inhalt hat und jedes sehr spannend zu lesen ist. Alle drei sind auch in Deutsch erhältlich. 1) "City of Bits - Space, Place and the Infobahn" von William Mitchell. Dieses Buch wurde von einem CAD-Pionier geschrieben und baut auf architektonischen, urbanistischen Ideen auf. 2) "Life on the screen - Identity in the Age of the Internet" von Sherry Turkle. In diesem Buch verwertet eine Psychologin/Soziologin Beobachtungen und Interviews mit Kindern und Erwachsenen. 3) "Out of Control - The New Biology of Machines, Social Systems, and the Economic World" von Kevin Kelly. Dieses Buch ist techno-kulturell, wirtschaftlich orientiert und zeigt unter anderem, wie eingefleischte Grundsätze durch die neuen Möglichkeiten auf den Kopf gestellt werden.

Team

Die folgenden Personen waren massgeblich an der Implementierung und der Durchführung der genannten Kurse beteiligt: Prof. Gerhard Schmitt, Urs Hirschberg, Fabio Gramazio, Andreas Weder, Cristina Besomi, Florian Wenz, André Müller, Maria Papanikolaou, Patrick Sibenaler, Mischka Miskiewicz, Mark Rosa, Benjamin Staeger, Bige Tuncer, Daniel von Lucius, David Kurmann, Kai Strehlke, Fernando Burgos, Cornelia Quadri, Miriam Zehnder, Steffen Lemmerzahl, Andrew Vande Moere, Pascal Cavegn, Tobias Friedrich, Roelof Speekenbrink, Christoph Messner, Christian Verasani, Rüdiger Kreiselmayer, Isabel Gutzwiller, und die Studierenden der jeweiligen Kurse.

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