Die neue Zentralität. Saskia Sassen Die Folgen der Telematik und der Globalisierung Immer wieder wird behauptet, daß der Cyberspace und die in ihm agierende globale Ökonomie urbane Zentren überflüssig machen. Saskia Sassen, die den Begriff der "Global Cities" geprägt hat, hingegen beobachtet gleichzeitig einen Dezentralisierungs- und einen Konzentrationsprozeß. In ihrem Beitrag arbeitet sie die verschiedenen Gesichter der neuen Zentralität heraus, die mit einer Marginalisierung von breiten Gesellschaftsschichten einhergeht und sich auch auf die Eigenschaften der Netze auswirkt. Die neue Zentralität. Telematik und Globalisierung haben sich als fundamentale Kräfte herausgestellt, die die Organisation des ökonomischen Raums [1] gestalten. Diese Reorganisierung reicht von der räumlichen Virtualisierung einer wachsenden Zahl ökonomischer Aktivitäten bis hin zu einer Rekonfiguration der Geographie der gebauten Umwelt für ökonomisches Handeln. Diese Reorganisierung führt, gleich ob im elektronischen Raum oder in der Geographie der gebauten Umwelt, zu organisatorischen und strukturellen Veränderungen. Eine Folge dieser Transformationen wurde für eine wachsende Zahl ökonomischer Aktivitäten in Bildern der geographischen Zerstreuung im globalen Maßstab und der Neutralisierung von Raum und Entfernung durch die Telematik erfaßt. Das läßt wiederum die Frage entstehen, welche Bedeutung Städte und Architektur in Zukunft haben werden. Ist eine Raumökonomie ohne räumliche Konzentrationspunkte in einem ökonomischen System möglich, das durch eine signifikante Konzentration des Eigentums, der Macht und der Profitaneignung gekennzeichnet ist? Man kann diese Frage auch so formulieren, daß die Dimensionen des Raums, der Organisation und der Macht in der Begrifflichkeit der Zentralität erfaßt werden: Kann ein solches ökonomisches System ohne Zentren operieren? Wie weit können überdies Formen der Zentralität, die im elektronischen Raum eingerichtet wurden, einige der Funktionen ersetzen, die man gemeinhin mit geographischen/organisatorischen Zentralitätsformen verbindet? Die grundlegende Behauptung in diesem kurzen Essay geht dahin, daß Zentralität weiterhin eine Schlüsseleigenschaft des ökonomischen Systems bleibt, aber daß die räumlichen Korrelate der Zentralität durch die neuen Technologien und durch die Globalisierung tiefgreifend verändert wurden. Das läßt eine ganz neue Fragestellung hinsichtlich der Definitionen entstehen, was Zentralität in einem ökonomischen System heute konstituiert, in dem a) viele Transaktionen mittels Technologien geschehen, die Entfernung und Raum neutralisieren und so in einer globalen Größenordnung stattfinden, während b) Zentralität historisch in bestimmten Arten der gebauten Umwelt und der urbanen Struktur eingelagert war. In diesem Aufsatz geht es mir vor allem darum, die Behauptung, daß Zentralität eine Schlüsseleigenschaft des ökonomischen Systems bleibt, analytisch und empirisch zu belegen. Das führt zu einer Wiederentdeckung des Ortes und der Infrastruktur in unserer Konzeptualisierung der globalen Informationsökonomie und zu einer Herausarbeitung des elektronischen Raums, also zur Tatsache, daß es in diesem Raum nicht nur um Übertragungskapazitäten geht, sondern daß es sich um einen Raum handelt, in dem neue Strukturen des ökonomischen Handelns und der ökonomischen Macht konstituiert werden. In diesem Bündel von Transformationen liegt möglicherweise eine neue Reihe von Fragestellungen für die Architektur. Als Wissenschaftlerin der politischen Ökonomie, die sich für die räumliche Organisation der Ökonomie und die räumlichen Korrelate der ökonomischen Macht interessiert, scheint mir, daß die Perspektive auf den Ort und die Infrastruktur in der neuen globalen Informationsökonomie eine begriffliche und praktische Öffnung für die Architektur schafft. Und während eine solche Öffnung weniger wahrscheinlich zu sein scheint, wenn der Schwerpunkt der Fragestellung auf der Neutralisierung des Raumes und der Immaterialität des Informationsprodukte liegt, kann der entstehende Bereich der Elektrotektur (electrotecture) als eine Form verstanden werden, die auf diese Bedingungen antwortet. Der Begriff der Elektrotektur könnte, wie ich denke, so weit ausgedehnt werden, daß er die Strukturen des ökonomischen Handelns und der Zentralisierung der Kontrolle einschließen würde, die in den elektronischen Raum "eingebaut" werden, wie dies beispielsweise beim Markt für ausländische Währungen oder beim Handel mit Programmen der Fall ist. Schließlich können uns, wie mir scheint, architektonische Praxis und Theorie bei der Herausarbeitung des Punktes helfen, an dem die Materialität des Ortes bzw. der Infrastruktur mit diesen Technologien und Organisationsformen zusammentrifft, die den Platz und die Materialität neutralisieren. Eine neue Architektur der Zentralität? Die Architektur hat eine zentrale Rolle bei der Begründung der Idee der Zentralität im materiellen Sinn gespielt: ein beachtlicher Teil der Architektur ist eine "Architektur der Zentralität" gewesen . Die von der Architektur der Zentralität angeeigneten historischen Formen haben mit Zeremonien, Politik und Religion zu tun. Während der letzten beiden Jahrzehnte konnten wir eine Verlagerung von einigen der zentralen Funktionen, die traditionell im Bereich der Religion und der Politik eingebettet waren, zur Ökonomie beobachten. Architektur wurde in den 80er Jahren instrumentalisiert, um visuell den Übergang vieler zentraler Funktionen von der politischen zur ökonomischen Arena darzustellen. Die 80er Jahre sind emblematisch für eine neue Architektur der Zentralität, die neue Formen der ökonomischen Macht repräsentiert und behaust: für den Cyberspace des internationalen Handels, der von den Hochhäusern und Hotels von Unternehmen bis hin zu Flughäfen der internationalen Klasse reicht - ein transterritorialer Raum der Zentralität, eine neue Geographie der gebauten Umwelt der Zentralität. Aber obgleich er transterritorial ist, bleibt er eine Form des Ortes. Der Ort ist für den Prozeß der Elitenbildung fundamental. Und ein Ort ist dort, wo wir die neuen Machtrepräsentationen erkennen, die bislang in politische Institutionen eingebettet waren und sich jetzt in den ökonomischen Bereich verlagert haben. Aber die Hierarchie im ökonomischen System, das in der Vergangenheit sich oft transparente Korrelate in der Architektur und in der urbanen Form angeeignet hat, wurde teilweise durch die räumliche Virtualisierung der ökonomischen Schlüsselaktivitäten entmaterialisiert. Ökonomische Globalisierung und die neuen Informationstechnologien haben nicht nur Zentralität und deren räumliche Korrelate neu gestaltet, sie haben auch neue Räume für die Zentralität geschaffen. Es gibt neue Formen der ökonomischen Macht, die im elektronischen Raum gebildet werden . Einige dieser neuen Zentralitätsformen können nicht als anschauliche Zentralität wie das zentrale Geschäftsviertel einer City erfahren werden. Da überdies ein beträchtlicher Teil der ökonomischen Transaktionen in elektronische Räume verlagert wurde, wird es problematischer, die Dichte ökonomischer Aktivitäten zu erfahren, wie man dies beim traditionellen Handel auf der Straße kann. Welche Architektur haben diese entmaterialisierten Zentralitätsformen? Wie könnte eine neue Architektur der Zentralität aussehen? Wenn man den Schwerpunkt auf die Zentralität im ökonomischen System und den gegenwärtig von der Zentralität angeeigneten Formen legt, dann kann dies zu einer Spezifizierung von einigen der neuen ökonomischen Kontexte für Architektur beitragen und, wie ich meine, eine bestimmte Anzahl von Zugängen zu diesen Fragen über Architektur eröffnen, die sich von jenen unterscheiden, die durch die Architektur selbst eingeräumt werden. Neue Formen der Zentralität Telematik und das Wachstum der globalen Ökonomie, die beide untrennbar miteinander verbunden sind, haben eine neue Geographie der Zentralität (und Marginalität) entstehen lassen. Indem ich eine anderswo durchgeführte Analyse (Sassen 1994) vereinfache, unterscheide ich vier Formen, in denen Zentralität heute erscheint. 1. Obgleich es keine einfache und unmittelbare Verbindung zwischen Zentralität und solchen geographischen Entitäten wie dem Stadtzentrum oder dem zentralen Geschäftsviertel mehr gibt, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, so bleibt letzteres dennoch eine Hauptform der Zentralität. Aber das zentrale Geschäftsviertel wird in großen internationalen Handelszentren vom technologischen und ökonomischen Wandel in großem Ausmaß neu gestaltet. 2. Das Zentrum kann sich zu einer metropolitanen Zone in Form eines Netzes von Knoten intensiver Geschäftsaktivität erweitern. Man könnte fragen, ob eine räumliche Organisation, die durch dichte, über eine größere Region verstreute strategische Knoten charakterisiert wird, wirklich eine neue territoriale Organisationsform des "Zentrums" ist oder ob sie nur, wie in der konventionelleren Sichtweise, ein Moment der Suburbanisierung oder der geographischen Zersiedelung darstellt. In dem Maße, in dem diese verschiedenartigen Knoten durch Cyber-Wege oder digitale Highways verbunden sind, sind sie jedoch ein neues geographisches Korrelat des fortgeschrittensten Typus des "Zentrums". Die Orte aber, die aus diesem neuen Netz der digitalen Highways herausfallen, werden peripher. Dieses regionale Knotennetz stellt in meiner Analyse die Bedeutung des Begriffs der Region wieder her. Weit von der Neutralisierung der Geographie entfernt, ist das regionale Netz vermutlich in konventionelle Formen der Kommunikationsinfrastruktur eingebettet, besonders in schnelle Zug- und Autobahnverbindungen mit Flugplätzen. Man kann davon ausgehen, daß die konventionelle Infrastruktur vielleicht ironischerweise die aus der Telematik stammenden ökonomischen Vorteile maximiert. Das ist, wie ich glaube, eine wichtige Fragestellung, die in der Diskussion über die Neutralisierung der Geographie durch die Telematik ein wenig verschwunden ist. 3. Wir können die Ausbildung eines transterritorialen Zentrums beobachten, das durch die Telematik und intensive ökonomische Transaktionen geschaffen wird. Die Struktur dieser neuen Geographien der Zentralität auf dem interurbanen Niveau verbindet die großen internationalen Finanz- und Handelszentren: unter anderen New York, London, Tokyo, Paris, Frankfurt, Zürich, Amsterdam, Los Angeles, Sydney, Hong Kong. Die Intensität der Transaktionen zwischen diesen Städten hat, besonders durch die Finanzmärkte, die Dienstleistungsangebote und das Investment, rapid zugenommen, und daher sind auch die entsprechenden Größenordnungen angestiegen. Zur selben Zeit entwickelte sich eine zunehmende Ungleichheit in der Konzentration strategischer Ressourcen und Aktivitäten zwischen diesen und anderen Städten im selben Land. Beispielsweise konzentriert sich in Paris ein größerer Anteil von führenden ökonomischen Sektoren und des Reichtums von Frankreich als vor 15 Jahren, während Marseille, einst ein großes ökonomisches Zentrum, an Bedeutung verloren hat und sich im Niedergang befindet. 4. Neue Zentralitätsformen werden im elektronisch erzeugten Raum gebildet. Der elektronische Raum wird oft als rein technisches Ereignis und in diesem Sinn als ein Raum der Unschuld verstanden. Aber wenn wir beispielsweise in Betracht ziehen, daß strategische Komponenten der Finanzindustrie in einem solchen Raum operieren, dann können wir sehen, daß dies Räume sind, in denen Profite gemacht werden und dadurch Macht begründet wird. In dem Maße, in dem diese Technologien die Möglichkeiten der finanziellen Profiterzielung verstärken und die Hypermobilität des Finanzkapitals eröffnen, können sie auch einen Beitrag zu den oft verwüstenden Auswirkungen des finanziellen Niedergangs anderer Industrien, bestimmter Bevölkerungsschichten oder ganzer Ökonomien leisten. Der Cyberspace kann wie jeder andere Raum in einer Vielzahl von Weisen geprägt werden, die unterstützend oder aufklärend, aber auch das Gegenteil davon sein können (Sassen 1994). Strukturen der ökonomischen Macht werden im elektronischen Raum gebaut und ihre äußerst komplexen Ordnungen enthalten Stellen der Koordination und Zentralisierung. In den folgenden Abschnitten werden ich verschiedene Aspekte dieser vier Zentralitätsformen diskutieren und dabei den Schwerpunkt besonders auf Städte legen, um so die Logik zu zeigen, die in einer globalen Informationsökonomie Zentralität herstellt. Agglomeration und Konzentration in einer globalen Informationsökonomie Eine der am besten definierten Formen der Zentralität ist die kontinuierliche und oft zunehmende Konzentration und Spezialisierung von finanz- und unternehmensorientierten Dienstleistungsfunktionen in größeren Städten innerhalb hoch entwickelter Länder. Das ist in vielerlei Weise in einer Zeit ein Paradox, in der die Entwicklung der Telematik zugleich die Möglichkeit der geographischen Streuung maximiert, und richtet sich auch gegen die Vorhersagen von Experten, die den Niedergang der Städte als ökonomische Einheiten behauptet haben. Genau die Kombination der räumlichen Streuung vieler ökonomischer Aktivitäten mit der globalen Integration durch die Telematik hat die strategische Rolle größerer Städte in der gegenwärtigen Phase der Weltökonomie unterstützt. Über ihre manchmal lange Geschichte als Zentren des Welthandels und des Kapitalmarktes hinaus fungieren diese Städte jetzt als Führungszentren in der Organisation der Weltökonomie, als Schlüsselorte und Marktplätze führender Industrien in unserer Zeit (Finanzierung und spezielle Dienstleistungen für Firmen) und als Orte für die Produktion von Innovationen in diesen Industrien. Diese Städte haben so riesige Ressourcen konzentriert, und die führenden Industrien haben einen solch massiven Einfluß auf die ökonomische und soziale Ordnung dieser Städte ausgeübt, daß die Möglichkeit eines neuen Stadttyps entsteht. Die Gestaltung und Kontinuität eines ökonomischen Zentrums in den Stadttypen, die ich global nenne, beruht auf der Überkreuzung zweier großer Prozesse: a) der wachsenden Dienstleistungsintensität in der Organisation aller Industrien, ein häufig vernachlässigter Aspekt, den ich für wesentlich erachte, b) und der Globalisierung der ökonomischen Aktivität. Sowohl die wachsende Dienstleistungsintensität als auch die Globalisierung beruhen auf den neuen Informationstechnologien und werden von ihnen geformt. Beide hatten deutlichen Einfluß auf den urbanen Raum und werden dies weiterhin haben. Die allgemein zunehmende Dienstleistungsintensität in der ökonomischen Organisation und die spezifischen Bedingungen, unter denen die Informationstechnologien verfügbar sind, kommen zusammen, um die Städte erneut zu strategischen "Produktionsorten" zu machen, eine Rolle, die sie verloren hatten, als die Massenproduktion in großem Maßstab zum beherrschenden ökonomischen Sektor wurde. Durch diese informationsbasierten Produktionsprozesse aber wird Zentralität geschaffen. Einer der Schwerpunkte meiner Arbeit ist gewesen, Städte als Produktionsorte für führende Dienstleistungsindustrien unserer Zeit zu betrachten und daher die Infrastruktur von Aktivitäten, Firmen und Jobs herauszuarbeiten, die für die fortgeschrittene Ökonomie der Unternehmen notwendig ist. Spezialisierte Dienstleistungen werden gewöhnlich in Begriffen von spezialisierten Leistungen verstanden, kaum jedoch hinsichtlich der in diesen implizierten Produktionsprozesse. Legt man die Blickrichtung aber auf den Produktionsprozeß in diesen Dienstleistungsindustrien, so können wir a) einige ihrer standortspezifischen Merkmale erfassen und b) die Behauptung untersuchen, daß es eine neue Dynamik im Hinblick auf Agglomeration bei den fortgeschrittenen Dienstleistungen für Unternehmen gibt, weil sie als ein Produktionskomplex wirken, der die Hauptniederlassungen von Unternehmen versorgt, aber doch unterschiedliche lokale und produktionsspezifische Eigenschaften besitzt. Dieser produktionsorientierte Dienstleistungskomplex profitiert von einer städtischen Umgebung und benötigt diese in höherem Ausmaß als die Hauptniederlassungen von Unternehmen. Wir können diese Agglomerationsdynamik auf verschiedenen Ebenen der urbanen Hierarchie feststellen. Auf der globalen Ebene konzentrieren sich in einigen Städten die Infrastruktur und die Dienstleistungen, die die Möglichkeit einer globalen Kontrolle eröffnen. Letztere ist wesentlich, wenn die geographische Streuung der ökonomischen Aktivität von Fabriken, Büros oder Finanzmärkten unter der Bedingung kontinuierlicher Konzentration des Eigentums und der Profitaneignung stattfindet. Diese Möglichkeit globaler Kontrolle kann nicht einfach nur unter die strukturellen Aspekte der Globalisierung ökonomischer Aktivität subsumiert werden. Sie muß hergestellt werden. Es reicht nicht aus, die furchteinflößende Macht von großen Unternehmen oder die Existenz irgendeines "internationalen ökonomischen Systems" zu postulieren oder gar davon als Gegebenheiten auszugehen. Wenn man den Blick auf die Produktion dieser Kapazität richtet, dann fügen wir dem vertrauten Thema der Macht von großen Unternehmen eine vernachlässigte Dimension hinzu. Die Betonung liegt dann auf der Praxis der globalen Kontrolle - auf der Arbeit, die Organisation und das Management eines globalen Produktionssystems und eines globalen Finanzmarktplatzes unter den Bedingungen einer ökonomischen Konzentration herzustellen und zu reproduzieren. Macht ist wesentlich für die Organisation der Weltökonomie, aber das gilt gleichermaßen auch für die Produktion, einschließlich der Produktion jener Inputs, die die Möglichkeit der globalen Kontrolle und die an dieser Produktion beteiligte Infrastruktur von Jobs begründen. Dies erlaubt es uns, Städte und die mit der urbanen Gesellschaftsordnung verknüpften Aktivitäten in den Mittelpunkt zu rücken. Die von mir unterstellte fundamentale Dynamik bedeutet, daß die Agglomeration von zentralen Funktionen in "global cities" desto höher wird, je mehr sich die Ökonomie globalisiert. Die schnelle Zunahme an Dichte von Bürogebäuden in den 80er Jahren, die in den Geschäftsvierteln dieser Städte evident ist, ist ein räumlicher Ausdruck dieser Logik. Die weithin akzeptierte Vorstellung, daß Agglomeration obsolet wird, wenn die Fortschritte globaler Telekommunikation eine größtmögliche Streuung ermöglichen, ist nur teilweise richtig. Ich meine, daß gerade wegen der territorialen Streuung, die von Fortschritten in der Telekommunikation unterstützt wurde, sich die Agglomeration von zentralisierenden Aktivitäten immens verstärkt hat. Das ist nicht nur eine Fortsetzung der herkömmlichen Agglomerationsmuster, sondern, wie man behaupten kann, eine neue Logik der Agglomeration. Eine Schlüsselfrage ist, wann die Fortschritte der Telekommunikation auf diese zentralisierenden Funktionen angewendet werden. Mit dem Potential globaler Kontrolle werden bestimmte Städte zu Knotenpunkten in einem riesigen Kommunikations- und Marktsystem. Fortschritte in der Elektronik und Telekommunikation haben geographisch weit auseinanderliegende Städte in Zentren globaler Kommunikation und eines Fern-Managements verwandelt. Aber zentralisierte Kontrolle und Management einer geographisch verstreuten Menge von Fabriken, Büros und Serviceeinrichtungen entstehen nicht unweigerlich als Teil eines "Weltsystems". Nötig ist hierfür die Entwicklung einer großen Anzahl von hochspezialisierten Dienstleistungen sowie eines Managements und einer Kontrollfunktionen auf höchster Ebene. Ein Großteil der Analysen und der allgemeinen Beurteilung der globalen Ökonomie und der neuen Wachstumssektoren schließen diese vielfältigen Dimensionen nicht ein. Anderswo habe ich gesagt, daß wir die dominante oder übliche Erzählung von der ökonomischen Globalisierung als Erzählung der Ausschließung verstehen können (Sassen 1994). Schlüsselbegriffe in der vorherrschenden Erzählung von Globalisierung, Informationsökonomie und Telematik suggerieren stets, daß der Ort keine Bedeutung mehr besitze und daß es einzig noch um die gut ausgebildeten Spezialisten gehe. Diese Erzählung privilegiert die Kapazität globaler Informationsübermittlung gegenüber den Verdichtungen gebauter Infrastruktur, die diese ermöglichen, den Informationsoutput gegenüber den von SektretärInnen bis hin SpezialistInnen reichenden Angestellten, die diese produzieren, und die neue transnationale Unternehmenskultur gegenüber der Vielzahl von kulturellen Umgebungen, einschließlich der reterritorialisierten Immigrantenkulturen, in denen viele der "anderen" Jobs der globalen Informationsökonomie ausgeübt werden. Kurz, die dominante Erzählung beschäftigt sich selbst mit den höheren Kapitalkreisläufen, aber nicht mit den niederen, und mit den globalen Kapazitäten von großen ökonomischen Akteuren, aber nicht mit der Infrastruktur von Einrichtungen und Jobs, die hinter diesen stehen. Diese enge Perspektive bewirkt, daß aus der Erzählung die Ortsgebundenheit von wichtigen Komponenten der globalen Informationsökonomie ausgeschlossen wird. Konzentration und die neue Definition des Zentrums Der Trend zur Konzentration ist auf den nationalen und internationalen Ebenen in allen hochentwickelten Ländern evident. In der Region Paris befinden sich beispielsweise über 40% aller industriebezogenen und über 80 % der technisch avanciertesten Dienstleistungsbetriebe. In New York sollen nach Schätzungen zwischen einem Viertel und einem Fünftel aller amerikanischen Exporte industriebezogener Dienstleistungen lokalisiert sein, obgleich hier nur 3% der amerikanischen Bevölkerung leben. In London finden 40% aller Exporte von industriebezogenen Dienstleistungen statt. Ähnliche Trends sind in Zürich, Frankfurt und Tokyo evident, die sich alle in viel kleineren Ländern befinden. An einer anderen Stelle (Sassen 1994) diente meine ins Einzelne gehende empirische Untersuchung mehrerer Städte dazu, die verschiedenen Aspekte dieses Trends zur Konzentration zu erforschen. Hier kann ich nur einige Beobachtungen anführen. Das Beispiel Toronto, einer Stadt, deren Finanzviertel erst vor einigen Jahren erbaut wurde, läßt uns erkennen, bis zu welchem Ausmaß der Zwang zur räumlichen Konzentration in eine ökonomische Dynamik eingebettet und nicht nur die Konsequenz einer aus der Vergangenheit stammenden gebauten Infrastruktur ist, wie man im Fall von älteren Zentren wie New York oder London denken könnte. Aber das Beispiel zeigt auch, daß es besonders bestimmte Industrien sind, vor allem die Finanzindustrien und ihre verwandten Zweige, von denen der Zwang zur räumlichen Konzentration ausgeht. Im Finanzviertel von Manhattan hatte der Einsatz von fortgeschrittenen Informations- und Telekommunikationstechnologien wegen des zusätzlichen Raumbedarfs der "intelligenten" Gebäude einen großen Einfluß auf dessen räumliche Organisation. Ein Ring neuer Bürogebäude, die diese Forderungen erfüllten, wurde unmittelbar um den Kernbereich der Wall Street errichtet, wo kleine Straßen und Grundstücke dies schwierig machen. Überdies ist die Renovierung alter Gebäude dort extrem teuer und oft auch nicht möglich. Die neuen Gebäude in diesem Viertel waren meist Hauptsitze von Unternehmen und Niederlassungen von Anbietern industrieorientierter Finanzierungsdienstleistungen. Diese Firmen sind meist sehr intensive Benutzer der Telematik, und die Verfügbarkeit über deren avancierteste Formen stellt normalerweise einen wichtigen Faktor für ihre Standortentscheidungen dar. Sie benötigen eine Überfülle an Telekommunikationssystemen, hohe Übertragungskapazitäten, oft eigene Netzwerke etc. Damit einher geht häufig ein Bedarf an großen Räumen. Die technischen Installationen für den Verkaufsbereich einer Firma nehmen beispielsweise einen zusätzlichen Raum ein, der oft mit der Größe dieses Bereichs selbst äquivalent ist. Das Beispiel Sydney zeigt die Interaktion auf einer großen, kontinentalen ökonomischen Größenordnung und die Zwänge zur räumlichen Konzentration. Die Entwicklungen während der 80er Jahre verstärkten nicht die Multipolarität des australischen urbanen Systems, sondern förderten die Internationalisierung der australischen Ökonomie. Eine markante Zunahme ausländischer Investitionen, eine starke Verlagerung auf finanz-, grundstücks- und industrieorientierte Dienstleistungen trugen zu einer wachsenden Konzentration einer großen Zahl von Aktivitäten und Akteuren in Sydney bei. Parallel dazu gingen diese Aktivitäten und Akteure Melbourne, das lange Zeit das Zentrum kommerzieller Aktivität und kommerziellen Reichtums in Australien gewesen ist, verloren. Auf internationaler Ebene sind die führenden Finanzzentren in der Welt weiterhin interessant, obgleich man hätte erwarten können, daß die wachsende Zahl von Finanzzentren, die in die globalen Märkte integriert sind, den Konzentrationsgrad finanzieller Aktivität in den größten Zentren reduzieren würde. Überdies würde man das auch erwarten, wenn man von der immensen Zunahme des globalen Transaktionsvolumens ausgeht. Doch der Konzentrationsgrad bleibt angesichts der großen Veränderungen in der Finanzindustrie und in der technologischen Infrastruktur, auf der sie beruht, unverändert. Zentralität im elektronischen Raum Ereignen sich diese Konzentrations- und Zentralitätstendenzen im elektronischen Raum? Wir neigen dazu, den vernetzten Raum mit dem Merkmal einer verteilten Macht und dem Fehlen von Hierarchie zu versehen. Das Internet ist vermutlich der bekannteste vernetzte Raum. Seine spezifische Eigenschaften haben den Begriff der verteilten Macht hervorgebracht: Dezentralisierung, Offenheit, Expansionsmöglichkeit, keine Hierarchie, kein Zentrum, keine Voraussetzungen für autoritäre oder monopolistische Kontrolle. Aber wir müssen sehen, daß die Netzwerke auch andere Machtformen ermöglichen. Die Finanzmärkte, die in hohem Ausmaß in den Netzen operieren, stellen ein gutes Beispiels für eine alternativen Machtform dar. Die drei Eigenschaften der elektronischen Netze: Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit und wechselseitige Verbindung haben Größenordnungen bei den Finanzmärkten hergestellt, die alles bislang Bekannte weit übersteigen. Als Folge hat der globale Kapitalmarkt die Macht erworben, nationale Regierungen zu beherrschen, wie dies während der mexikanischen "Krise" im Dezember 1994 offenbar wurde. Dieselben Eigenschaften der elektronischen Netze haben überdies auch Bedingungen für einen Kontrollverlustin den Institutionen der Finanzindustrie selbst geschaffen. Als Beispiel kann eine Reihe von Ereignissen dienen: Der Börsenkrach von 1987, der durch den Handel über Computer verursacht wurde, und der Zusammenbruch der Barings Bank durch einen jungen Börsenspekulanten, der es geschafft hatte, große Kapitalmengen in verschiedenen Märkten über eine Zeitspanne von sechs Wochen zu bewegen. Obgleich die Form des Netzwerkes im Fall des internationalen Finanzmarktes potentiell subversiv ist, weil es hier bestehende Hierarchien der Kontrolle (wie die Zentralbanken oder mächtige Institutionen, die an eine weit größere Kontrolle der Ökonomie gewöhnt sind), ist sie dennoch in hohem Maß eine Form der hierarchischen Macht. Sie stellt eine große Konzentration an Macht und Profit her. Wichtig ist auch, daß die Macht solcher elektronischen Netze im Finanzbereich in eine konzentrierte Macht mündet, obwohl sie in mancher Hinsicht eine Art verteilte Macht bleibt, die sich aus Millionen von Investoren und ihren Millionen an Entscheidungen bildet. Das Ergebnis dieses Prozesses, der aus der verteilten Macht entsteht, kann viele Formen annehmen und ist in diesem Fall radikal von der des Internet verschieden. Diese Entwicklung weist auf die Möglichkeit hin, daß die vernetzte Macht nicht notwendigerweise verteilt ist. Interventionsmechanismen können ihre Organisation neu formen. Wenn ihre Form als verteilte Macht gewahrt werden soll, muß sie in eine bestimmte Struktur eingebettet werden. Im Falle des Internet kann die fehlende Kommerzialisierung, neben den wesentlichen Merkmalen, daß es ein Netz aus Netzen und offen ist, der Grund für seine Entwicklung gewesen sein. Ohne Zweifel ist das Internet ein Raum verteilter Macht, der die Möglichkeiten autoritärer und monopolitischer Herrschaft begrenzt. Aber im Laufe der letzten zwei Jahre wurde deutlich, daß es auch ein Raum des Kampfes und der Abgrenzung ist. Wenn wir an die Macht der Netze denken, müssen wir sehen, daß es heute an die 40.000 Netzwerke gibt, die IP-kompatibel sind, und daß das Internet auf 12.000 Netzwerken basiert. Daher bleibt eine Menge an Macht im Netz übrig, die nicht notwendigerweise die Eigenschaften des Internet besitzt. Ein Großteil dieser konzentrierten Macht reproduziert in der Tat eher eine Hierarchie als eine verteilte Herrschaft. Wenn man die Möglichkeiten dieser Strukturen im elektronischen Raum begrifflich fassen will, dann sollte man vielleicht mit den entstehenden Formen der Abgrenzung beginnen. Noch ist nicht klar, ob das in neuen Formen der Zentralität münden wird. Das nächste Kapitel wird einige der diesbezüglichen Themen untersuchen. Entstehende Segmentierungen im Cyberspace Gegenwärtig können wir mindestens drei unterschiedlichen Formen der Cyber-Segmentation sehen. Die Kommerzialisierung des Zugangs ist bekannt. Eine weitere ist die Herausbildung von Vermittlungsinstanzen, um Informationen für zahlende Kunden zu ordnen, auszuwählen und zu bewerten. Und die dritte, die ich detaillierter behandeln will, ist das Aufkommen von privaten, durch Firewalls geschützen Firmennetzen auf dem Web. Das Ausmaß der Suche nach Möglichkeiten der Kontrolle, Privatisierung und Kommerzialisierung sollte nicht unterschätzt werden. Es haben sich drei große Allianzen gebildet, um Kunden eine umfangreiches Angebot an Dienstleistungen zu liefern. Obwohl eine Lösung des Problems der Kommerzialisierung jetzt nicht in Aussicht stehen mag, richtet man große Anstrengungen darauf, angemessene Gebührensysteme für den Zugang zum elektronischen Raum und die Benutzung seiner Inhalte zu entwickeln. Strategische Partnerschaften sind der Weg zur Erlangung der Kontrolle. Wachstumsstrategien und globale Allianzen zielen nicht nur darauf, Computer- und Telefondienste einzurichten, sondern auch Datenübertragung, Videokonferenzen, Teleshopping, Fernsehen, Nachrichten und Unterhaltung anzubieten. Zusammschlüsse und Aufkäufe sind bei den Unternehmen für Informationstechnologie in die Höhe geschnellt, weil sie die notwendige Größe und Technologie für den globalen Wettbewerb erreichen wollen. Deregulierung ist der entscheidende Schritt für die Ausweitung des Dienstleistungsangebots und die Bildung von globalen Allianzen. Doch Experten sagen vorher, daß nach einer Zeit des harten globalen Wettbewerbs einige globale Unternehmen das Geschäft monopolisieren werden. Intranets - durch Firewalls geschützte Zitadellen im Web? Eine der wichtigsten neuen Entwicklungen ist der Gebrauch des Web und eines Firewalls von Firmen, um ihre eigenen internen Computernetze aufzubauen. Anstatt teure Computersysteme zu erwerben, die eine Betreuung durch Experten und das Training der Angestellten erfordern, können Firmen das Web zu dem benutzen, was diese Systeme leisten, aber fast ohne Kosten und nur mit geringer Betreuung durch Experten. Firmen sparen viel Geld, wenn sie das Web für ihre internen Unternehmensziele nutzen. Handelt es sich dabei um die private Aneignung eines öffentlichen Guts? Wie mir scheint, spricht einiges dafür, zumal in Hinsicht auf die dadurch von Firmen eingesparten Millionen von Dollar. Sind die von Firewalls umgebenen Intranets die Zitadellen des elektronischen Raums? Die Bildung von privaten Intranets im Web ist vermutlich eines der verwirrendsten Beispiele für die Cyber-Segmentation. Ich werde hier einige Details diskutieren, weil es sich dabei um eine der jüngsten Entwicklungen handelt, die aber schnell an Größe zunimmt. Vor einem Jahr entdeckte der Markt, daß das WWW ein gutes Medium für die Kommunikation mit Kunden, Partnern und Investoren ist. Jetzt benutzt man das WWW, um interne Netzwerke, die mit einem Firewall umgeben sind, einzurichten. Neben sehr elementaren Informationen über neue Entwicklungen oder Adressen, die leicht aktualisiert werden können, bieten diese Intranets den Zugang zu den verschiedenen Datenbanken der Firma und ermöglichen jedem in der Firma, unabhängig von den Computersystemen, der Software und der Zeitzone, in der er sich befindet, diese zu benutzen. Firmen können komplizierte, teure und zeitfressende Prozeduren der Aktualisierung vermeiden, was meistens bewirkte, daß diese Datenbanken für die Entscheidungsfindung von geringer Bedeutung waren. Lotus Notes, die führende Firma für interne Computernetztechnologie, hat oft eine größere Komplexität bereitgestellt, als notwendig ist; und die Technik ist teuer und benötigt Betreuung von Experten. Private Intranets nutzen die Infrastruktur und die Standards des Internet und des WWW. Das ist billig und erstaunlich effizient im Vergleich zu anderen Formen von internen Kommunikationssytemen. Weil die Web-Browser auf jedem Computer laufen können, kann dieselbe elektronische Information von jedem Angestellten abgerufen werden. Intranets, die auf dem Web laufen, können alle Computer, die ganze Software und alle Datenbanken zu einem einzigen System verbinden, das es den Angestellten ermöglicht, Information zu finden, wo auch immer sie im System sich befinden mag. Die Hersteller von Computern und Software haben dies bereits seit einiger Zeit versprochen, aber es nie erreicht. Jetzt haben Firmen herausgefunden, daß das Webdies für sie machen kann. Das Eingebettetsein des elektronischen Raums In dem Maße, in dem der elektronische Raum eingebettet ist, können wir ihn nicht als rein technologisches Ereignis und nur aus der Perspektive technologischen Leistungen verstehen. Er ist durch die Strukturen und Dynamiken, in die er eingebettet ist, gekennzeichnet. Das Internet unterscheidet sich als Raum von den privaten Netzen der Finanzindustrie, und die durch Firewalls umgebenen Sites von Firmen sind anders als der öffentliche Teil des Web. Hinter diesem Problem der Intentionalität und des Gebrauchs liegt das der Infrastruktur. Der elektronische Raum ist in den hoch industrialisierten Ländern in viel größerem Maß vorhanden als in der weniger entwickelten Welt, und er ist in den Haushalten der Mittelklasse von reichen Ländern viel weiter verbreitet als in den armen Haushalten derselben Ländern. Die riesige neue ökonomische Topographie, die sich im elektronischen Raum ansiedelt, ist überdies nur ein Moment oder ein Bruchstück einer noch größeren ökonomischen Kette, die zum großen Teil in nicht-elektronischen Räumen eingebettet ist. Die erste Hälfte dieses Aufsatzes untersuchte die Konzentration zentraler Befehlsfunktionen in globalen Städten und die Tatsache, daß die wachsende Digitalisierung der ökonomischen Aktivitäten die Notwendigkeit solcher Zentren und all der in ihnen konzentrierten materiellen Ressourcen nicht eliminiert hat. Selbst die am weitesten fortgeschrittenen Industrien wie der Finanzsektor sind nur teilweise im elektronischen Raum angesiedelt. Es gibt keine rein digitale Ökonomie und kein gänzlich virtuelles Unternehmen. Das bedeutet, daß Macht, Kampf und Ungleichheit, kurz: Hierarchie, sich in den elektronischen Raum einschreiben. Und obgleich die digitalisierten Bereiche dieser Industrien die Möglichkeit eröffnen, die etablierten Hierarchien umzustürzen, entstehen neue Hierarchien aus den existierenden materiellen Bedingungen der Macht und den neuen Bedingungen, die durch den elektronischen Raum geschaffen werden. Literatur: Saskia Sassen "On Governing the Global Economy" (New York: Columbia University Press, 1996) Saskia Sassen "Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der global Cities (Campus Verlag, 1996) Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer Links [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/sam/6028/1.html Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/sam/6005/1.html -------------------- Glossar neuen Geographien der Zentralität Die ausdrückliche Orientierung an den Weltmärkten, die in diesen Städten offensichtlich ist, läßt Fragen hinsichtlich ihrer Verbindung mit den Nationalstaaten, mit ihren Regionen und der größeren ökonomischen und sozialen Struktur in solchen Städten entstehen. Städte waren normalerweise tief in den Ökonomien ihrer Region eingebettet und spiegelten oft die Eigenschaften von diesen. Das ist noch immer der Fall. Doch Städte, die in der globalen Ökonomie strategische Orte sind, neigen dazu, sich teilweise von ihrer Region abzulösen. Das steht in Widerspruch zu einer zentralen Behauptung des traditionellen Verständnisses von urbanen Systemen, vor allem dazu, daß diese die territoriale Integration der regionalen und nationalen Ökonomien unterstützen. zunehmende Ungleichheit Im Fall einer komplexen Landschaft wie die Europas können wir freilich verschiedene Geographien der Zentralität feststellen: die einen sind global, die anderen kontinental und regional (vgl. Sassen 1994). Eine zentrale urbane Hierarchie verbindet größere Städte, von denen wiederum viele eine zentrale Rolle in dem umfassenderen globalen System von Städten spielen: Paris, London, Frankfurt, Amsterdam, Zürich. Diese Städte sind auch Teil eines größeren Netzwerks von europäischen Finanz-, Kultur- und Dienstleistungshauptstädten, von denen einige nur eine und andere mehrere dieser Funktionen besitzen. Sie verbinden die europäische Region und sind weniger auf die globale Ökonomie wie Paris, London oder Frankfurt ausgerichtet. Und dann gibt es auch verschiedene Geographien der Marginalität: das Ost-West- und das Süd-Nord-Gefälle in Europa sowie neuere Trennlinien. In Osteuropa sind bestimmte Städte und Regionen, besonders Budapest, für Investitionen von europäischer und außereuropäischer Seite attraktiv, während andere, besonders Rumänien, Jugoslawien und Albanien, zunehmend zurückfallen. Eine ähnliche Ausdifferenzierung läßt sich in Südeuropa feststellen: Madrid, Barcelona und Mailand profitieren von der neuen Hierarchie, was für Neapel, Rom und Marseille nicht der Fall ist. Konzentrationsgrad Ein Großteil der Diskussion über die Formation eines einzigen europäischen Markt- und Finanzsystems hat auf die Möglichkeit und sogar auf die Notwendigkeit der Zentralisierung von finanziellen Funktionen und des Kapitals in einer begrenzten Zahl von Städten hingewiesen, wenn dieses der Konkurrenz standhalten soll, während die gegenwärtige Struktur nicht verteidigt wurde, in der jedes Land ein internationales Finanzzentrum besitzt Kontrollverlust Als Reaktion sind darauf Bedingungen entstanden, die nicht immer von denjenigen beherrscht werden können, die vermeintlich am meisten von den neuen elektronischen Möglichkeiten profitieren. Man kann Krisenmomente in bestehenden Regulationsmechanismen beobachten, die mit den Eigenschaften der elektronischen Märkte nicht zurechtkommen. Gerade weil sie tief in die Telematik eingebettet sind, lassen fortgeschrittene Informationsindustrien Fragen der Kontrolle in der globalen Ökonomie sehen, die nicht nur über die Reichweite des Staates, sondern auch weit über jene nicht staatlich verankerte Koordinierungssysteme hinausreichen, wie sie in der Literatur über die Regierungsgewalt vorwiegend behandelt wurden. Dabei handelt sich um Fragen der Kontrolle, die mit der Größenordnung zu tun haben, wie sie in den Finanzmärkten dank der durch die neuen Technologien eröffneten Transaktionsgeschwindigkeit erzielt werden kann. Das beste Beispiel dafür ist wahrscheinlich der Devisenmarkt, der sich weitestgehend im elektronischen Raum abspielt und ein Volumen erreicht hat, das es den Zentralbanken unmöglich macht, den von ihnen erwarteten Einfluß auf die Wechselkurse auszuüben. Eine ausführliche Darstellung dieser Probleme findet sich in Saskia Sassen "On Governing the Global Economy" (New York, Columbia University Press 1996) Raum des Kampfes und der Abgrenzung Das Netz als Raum der verteilten Macht kann sogar angesichts wachsender Kommerzialisierung gedeihen, aber dann wird es seine Selbstdarstellung als universeller Raum neu erfinden müssen. Es mag weiterhin ein Raum für faktische, aber nicht notwendigerweise durch Selbstbewußtsein geprägte demokratische Handlungen sein. Doch dies wird es teilweise nur als Widerstand gegenüber der überwältigenden Macht der Ökonomie und der herrschenden Hierarchie sein, und nicht als der Raum unbegrenzter Freiheit, den das Internet in seiner Selbstdarstellung für sich beansprucht. Mir scheint, daß in den letzten beiden sich so vieles verändert hat, daß die Darstellung des Internet einer kritischen Prüfung unterworfen werden müßte. Vielleicht müßten die dazu nötigen Bilder eher mit Kampf und Widerstand zu tun haben als nur mit der romantischen Verklärung von Freiheit und Vernetzung oder der neuen "Frontier" (obwohl man sagen muß, daß das Bild der Grenze einer kritischen Neubewertung unterzogen wurde, das es von der Verklärung der Freiheit und der Flucht vor Unterdrückung und Armut befreit hat). Eines der wichtigsten Merkmale des Internet ist seine instensive Nutzung durch die Bürger. Das aber bedeutet auch, daß es von allen gesellschaftlichen Gruppen benutzt wird, angefangen von Umweltgruppen bis hin zu Fundamentalisten wie die Christian Coalition in der USA. Das Internet wird ein demokratischer Raum für viele einander widersprechender Perspektiven und Interessen. Kontrolle, Privatisierung und Kommerzialisierung Das Internet wird zu einem großen Geschäft. Einkünfte aus Produkten und Dienstleistungen, die mit dem Internet zusammenhängen, werden von 300 Millionen Dollar im Jahre 1995 auf 10 Milliarden im Jahr 2000 ansteigen. 4,2 Milliarden Dollar werden von Kunden und Firmen für Gebühren ausgegeben, die für den Netzzugang und die Online-Zeit erhoben werden. drei große Allianzen Drei der weltweit führenden Telekommunikationsanbieter haben die dritte globale Telekom-Allianz gebildet. Die deutsche und die französische Telekom als die zwei größten europäischen Unternehmen haben insgesamt 4,2 Milliarden Dollar in Sprint, ihren dritten Partner, investiert, der in den USA der drittgrößte Anbieter für Fernverbindungen ist. Diese Allianz nennt sich Global One und wird den Kunden ein einziges Netzwerk anbieten, das man durch einen einzigen Kontakt erreichen kann und das mit neuester Technologie sowie vielen neuen Diensten ausgerüstet sein wird. Es wird den Schwerpunkt auf drei Bereiche des internationalen Telekommunikationsmarktes legen - weltweite Sprach-, Daten- und Videodienste für Firmen - internationale Kundendienste wie Telefonkarten - und internationale Übertragung und Support zu anderen internationalen Netzwerken. Es gibt noch zwei weitere globale Allianzen im Telekommunikationsbereich. AT&T hat sich mit vier europäischen Unternehmen zu Uniworld verbunden und ist jetzt die weltweit größte Allianz, und British Telecommunications und MCI stellen mit Concert die zweitgrößte dar. Zusammschlüsse und Aufkäufe 1995 erzielten diese Transaktionen mit 2913 Geschäftsabschlüssen Rekordzahlen. Das ist ein Zuwachs von 57 % gegenüber den 1861 Abschlüssen im Jahr 1994. Ihr Gesamtwert betrug 134 Milliarden Dollar, eine Steigerung von 47 % gegenüber den 90,5 Milliarden im Jahr 1994. gutes Medium Federal Express ist vielleicht einer der ersten und bekanntesten Beispiele. Im November stellte Fed Ex eine Web Site ins Netz, so daß Kunden ihre Sendungen weltweit verfolgen konnten, indem sie direkten Zugriff auf den entsprechenden Teil der Datenbank von Fed Ex erhielten. Das war ein großer Erfolg (und für viele, die genügend Zeit dafür hatten, ein großes Vergnügen, den Weg ihrer Sendungen zu beobachten). Über 12.000 Kunden loggten sich jeden Tag ein und klickten sich durch die Web-Seiten, um den Weg ihrer Sendungen nachzuvollziehen, anstatt dies von einem Angestellten für sie machen zu lassen. Fed Ex sparte über 2 Millionen Dollar. Auch Fed Ex hat jetzt ein Intranet eingerichtet. Gegenwärtig gibt es 60 Web Sites innerhalb der Firma. Informationen Die Anzahl der Sites in diesen Intranets ist manchmal ziemlich hoch. Beispielsweise haben die 7200 Angestellten von Silicon Graphics Zugang zu 144.000 Webseiten, die in 800 internen Web Sites gespeichert sind. internen Kommunikationssytemen Das stellt auch eine Bedrohung der Softwarefirmen dar, die vernetzte Systeme hergestellt haben, welche jetzt durch das weitaus einfachere Instrument des Web ersetzt werden. Man benötigte immens viele komplexe Codes und spezialisierte Programme wie das Programm Notes von Lotus. Das Web ist weitaus billiger und einfacher. Die deutsche Softwarefirma SAP mit einem Umsatz von 1,9 Milliarden Dollar rückte mit ihren komplizierten Programmen zur Überbrückung der Unterschiede zwischen Computersystemen an die Spitze der Industrie. Jetzt kann das Web viel von dem schneller und weitaus billiger. Die Software von Lotus und SAP benötigt auch Programmierer, um diese an die Systeme anzupassen und sie zu warten. Der Gebrauch des Webs reduziert überdies Kosten für die Schulung. Die Standardsprache HTML des Web wurde zu einem universellen Kommunikationsmedium und dient als Benutzerschnittstelle, mit der bereits Millionen von PC-Nutzern vertraut sind. Weil dieselbe grundlegende Programmiersprache für viele verschiedene Arten der Hardware gebraucht werden kann, werden Unternehmen weniger Programmierer benötigen, um Software zu schreiben und zu aktualisieren. Web Intranets werden die komplexen Firmenprogramme nicht ersetzen, die, beispielsweise im Finanzbereich, über viele Jahre hinweg verbessert wurde. Überdies kann die Sorge um Sicherheit und Vertraulichkeit den Gebrauch von Intranets begrenzen, die noch nicht so sicher sind wie herkömmliche Programme. Doch werden bessere Intranets entwickelt. Silicon Graphis beispielsweise setzte das Web intern fast zu dem Zeitpunkt ein, als es Mosaic, den ersten Web Browser, gab. Heute ist fast jede Information dieser Firma online. Intern gibt es fast zwei Dutzend Firmendatenbanken, die Angestellte durch Anklicken von Hyperlinks durchsuchen können. Dieses Merkmal der Intranets scheint mir sehr attraktiv zu sein. Ich habe keine Einwände, den Zugang zur Information einer Firma intern zu demokratisieren. Problematisch finde ich nur, daß damit ein öffentliches Gut gebraucht wird, um die Profite einer Firma zu erhöhen, die privat angeeignet werden. globalen Städten Vgl. Saskia Sassen "Cities in a World Economy" (Thousand Oaks, CA, Pine Forge/Sage, 1994; die deutsche Übersetzung erscheint im Campus Verlag 1996). -------------------- Copyright © 1996-2003. All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten Heise Zeitschriften Verlag, Hannover