Hans Bernoulli

Hans Bernoulli war einer der führenden Architekten, Stadtplaner und Hochschullehrer der Moderne in der Schweiz. Die Spanne seines Schaffens umfasst die gesamte erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit die wichtigen europäischen, in die Schweiz ausstrahlenden Epochenumbrüche der Jahrhundertwende, des Ersten und des Zweiten Weltkrieges.

1876 in Basel geboren und in den späten 1890er Jahren an den renommierten Technischen Hochschulen in München und Karlsruhe ausgebildet eröffnete Bernoulli 1903 nach erster Berufstätigkeit für Friedrich von Thiersch am Bodensee, bei Friedrich Pützer in Darmstadt und bei Hart & Lesser in Berlin ebendort zusammen mit Louis Rinkel sein erstes eigenes Architekturbüro. Als selbständiger Architekt zeichnete er für zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser in Berlin und anderen mitteldeutschen Grossstädten verantwortlich. Seine Bauten, deren Formensprache den naturalistischen und neobiedermeierlichen Tendenzen der Zeit entsprach, wurden von der zeitgenössischen Fachpresse breit pulbiziert. Einen Namen machte sich Bernoulli dann aber vor allem mit seinen stadtplanerischen Arbeiten. Er entwarf als Architekt der Deutschen Gartenstadtgesellschaft (DGG) die Bebauungspläne für die Siedlungen Falkenberg bei Berlin (heute als Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt) und Reform in Magdeburg, die beide von dem jungen Bruno Taut realisiert wurden, sowie die Bebauungspläne für Gartenstadtsiedlungen in Frankfurt an der Oder, Frankfurt/Main, Dresden-Plauen und Kattowitz (heute: Katowice, Polen) sowie für die Gartenstadt Nova Warszawa bei Warschau.

1912 kehrte Bernoulli als leitender Architekt der Basler Baugesellschaft in die Schweiz zurück. In dieser Funktion errichtete er in Basel und Umgebung zahlreiche Ein- und Mehrfamilienhäuser, aber auch die Frauenarbeitsschule und das Wohn- und Geschädtshaus Lällekönig an der Schifflände. Ausserdem gewann er wichtige Wettbewerbe, etwa den für den Neubau des Kunstmuseums Basel oder das Schulhaus Arlesheim, die beide nicht realisiert wurden.

1918 machte er sich wiederum selbständig und avancierte In der Schweiz zu einem der Pioniere des Kleinwohnungs- und Siedlungsbaus. Schon bei der ersten grossen Ausstellung des 1913 gegründeten Schweizerischen Werkbundes in Zürich hatte er sich mit einem im Rückblick geradezu programmatisch wirkenden Beitrag beteiligt, nämlich einem Arbeiterwohnhaus.

Darüber hinaus etablierte Bernoulli den Städtebau als Lehrgebiet an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Dort wirkte er, obwohl er sein eigenes Studium ohne Abschluss beendet hatte, von 1912 bis 1938 als Hochschullehrer und hatte damit massgeblichen Einfluss auf die jüngere Generation der Schweizer Moderne..

Bernoullis überregionaler Ruf spiegelt sich in seiner Jurorentätigkeit, er war Preisrichter bei zahlreichen Wettbewerben, so schon 1916/17 für den berühmten Wettbewerb für Vorentwürfe zu einem Bebauungsplan der Stadt Zürich und ihrer Vororte. Er spiegelt sich aber auch in seiner – bislang unbekannten – Berufung an die renommierte Berliner Akademie der Künste 1922, zusammen mit Hans Poelzig und Heinrich Tessenow, den Vaterfiguren der Moderne in Deutschland, von denen sich Bernoulli aber dadurch unterschied, dass er Architektur und Städtebau auch als politische Aufgabe begriff.

Eines der wichtigsten Anliegen Bernoullis war eine Bodenreform, wie man sie schon im Umfeld der Gründer der Deutschen Gartenstadtgesellschaft, Hans und Bernhard Kampffmeyer, diskutiert hatte. Für Bernoulli gewann diese Idee aber vor allem durch die nach dem Ersten Weltkrieg erschienenen Schriften des Sozialreformers und Freiwirtschafters Silvio Gesell an Relevanz. Bernoullis umfangreiches publizistisches Werk zeugt von seiner Auseinandersetzung mit volkswirtschaftlichen, politischen und städtebaulichen Fragen. Auch in institutionellem Rahmen, beispielsweise als Vorsitzender des Bundes Schweizer Architekten BSA (1919 bis 1922) und als Redaktor der Verbandszeitschrift Das Werk (1927 bis 1930), setzte er sich für ein neues Bodenrecht ein. «’Die erste Aufgabe des Städtebaues besteht also heute darin, den Behörden eine Macht wiederzugeben, die sie vordem besassen, die Macht über den städtischen Grund und Boden.’», heisst es in einer einflussreichen Schrift des Bundes Schweizer Architekten (BSA), nämlich der 1929 von Bernoulli und dem mit ihm befreundeten Leiter des Genfer Stadtplanungsamtes, Camille Martin, im Auftrag des BSA herausgegebenen Schrift Der Städtebau in der Schweiz. Grundlagen, die die Resultate der von Bernoulli und Martin für den BSA kuratierten Schweizerischen Städtebauausstellung zusammenfasste.[1]. Diese Ausstellung reiste später als Teil des Schweizer Beitrags zur «Deutschen Bauausstellung» unter der Leitung des Bernoulli in vielem nahe stehenden Stadtbaurates Martin Wagner.

Innerhalb der Schweiz stieß Bernoulli gleichwohl auch auf Widerstände. So verlor er 1938 im Rahmen der als ‚geistige Landesverteidigung’ deklarierten Schweizer Diskussionen der 1930er Jahre Lehrauftrag und Professorentitel an der ETH. Doch auch nach der Relegation trat Bernoulli weiter für seine politischen Ideen ein: von 1941 bis 1952 als Redaktor der freiwirtschaftlichen Zeitschrift Archiv, Schriftenreihe für eine natürliche Wirtschaftsordnung. Während zweier Sessionsperioden gehörte er ausserdem einem kantonalen Parlament, dem Grossen Rat in Basel, an. Von 1947 bis 1951 war er Nationalrat für den Landesring der Unabhängigen (LdU).

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Bernoulli europaweit als städtebaulicher Experte mit Planungen zum Wiederaufbau verschiedener Städte befasst. Er begutachtete und kommentierte zahllose Entwürfe zum Wiederaufbau, so die Planungen für Berlin, Wien, Darmstadt, Freiburg im Breisgau, Stuttgart oder Warschau. Er plädierte für einen politischen Neuanfang im zerstörten Europa und erarbeitete für diverse Städte Vorschläge zur Neuregelung der Grund- und Bodenrechte, die allerdings nur im sozialistischen Warschau tatsächlich umgesetzt wurden.

In den 1950er Jahre gewannen die politischen Ideen Bernoullis auch innerschweizerisch noch einmal an Kraft, als es im Umfeld der von Lucius Burckhardt, Max Frisch und Markus Kutter mit ihren berühmten Pamphleten Wir selber bauen unsere Stadt (1953), Achtung: Die Schweiz (1955) und Die neue Stadt (1956) angestossenen Debatte u.a. um Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung ging.

Noch heute haben Bernoullis Vorschläge nicht an Brisanz verloren. Die von ihm erkannten Probleme sind nach wie vor nicht gelöst: Die Spekulation mit Grund und Boden ist eine Herausforderungen für eine sinnvolle Gesamtplanung. Die Folgen sind offensichtlich. Sie reichen von Landschaftszerstörung über die renditeträchtigen Umwandlung günstigen Wohnraums in teure Quartiere mit den entsprechenden sozialen Folgen (Gentrifizierung) bis hin zu akuter Wohnungsnot. Nicht zuletzt deshalb ist die von Bernoulli städtebaulich-architektonisch wie theoretisch problematisierte Frage nach dem Allgemeinwohl von grosser Aktualität.

Dr. Sylvia Claus

[1] Camille Martin und Hans Bernoulli (Red.), Der Städtebau der Schweiz. Grundlagen, hg. vom Bund Schweizer Architekten, Fretz & Wasmuth Verlag, Zürich 1929, S. 4.

Die Biographie ist publiziert in: Marianne Pletscher/Marc Bachmann (Hg.), Wohnen wir im Paradies? Die Bernoullihäuser in Zürich, Zürich 2016.