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Mass Customization
Was bedeutet Mass Customization?
(modifizierter Auszug aus: FrankThomasPiller, Kundenindividuelle Massenproduktion, München/Wien 1998, Kap. 4)
Der Ausdruck Mass Customization ist ein Oxymoron, das die an sich gegensätzlichen Begriffe „Mass Production" und „Customization" verbindet. Der Begriff wurde 1987 von Stanley Davis in seinem Buch „Future Perfect" geprägt, der ausgehend von einem Beispiel der Bekleidungsindustrie das Phänomen der individuellen Massenproduktion zum ersten Mal beschrieben hat. Mass Customization heißt nach Davis, daß „jedes [individuelle Hemd] genauso schnell hergestellt wird wie identische Hemden, und zwar ohne zusätzliche Kosten."
Zum erstenmal wurde die Mass Customization von B. Joseph Pine in einer Forschungsarbeit am MIT (Massachusetts Institute of Technology) ausführlich untersucht. Pine stellte seine Ergebnisse 1993 einem breiten Adressatenkreis mit seinem Buch Mass Customization vor. Er kann als der eigentliche geistige Vater der Mass Customization angesehen werden und ist heute der prominenteste Vertreter dieses Konzepts. Dies nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, wo Pine mit seinem Beratungsunternehmen Strategic Horizons viele Unternehmen unterstützt hat, die Prinzipien der Mass Customization gewinnträchtig umzusetzen.
Als deutsche Übersetzung von Mass Customization -- englische Synonyme sind high-volume flexible production, customer intimacy, egonomics, built-to-order oder consumer coconstruction -- wird oft der Begriff „maßgeschneiderte Massenfertigung" verwendet. Dieser Begriff assoziiert unserer Ansicht nach aber zu stark den Bezug zur Textilfertigung. Zwar kommen aus diesem Bereich einige der Pioniere der Mass Customization, jedoch ist Mass Customization auch in allen anderen Branchen möglich. Andere deutsche Übersetzungen sind Massenindividualisierung, Massendifferenzierung oder Massen-Maßfertigung. Unseres Erachtens trifft der Ausdruck kundenindividuelle Massenproduktion den Sachverhalt am prägnantesten. Am genausten jedoch scheint die Verwendung der Originalbegriffs Mass Customization, der deshalb hier parallel zu seiner deutschen Übersetzung gebraucht wird.
Wir wählen eine pragmatische und anwendungsorientierte Definition:
Mass Customization (kundenindividuelle Massenproduktion) ist die Produktion von Gütern und Leistungen für einen (relativ) großen Absatzmarkt, welche die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Nachfragers dieser Produkte treffen, zu Kosten, die ungefähr denen einer massenhaften Fertigung vergleichbarer Standardgüter entsprechen. Die Informationen, die im Zuge des Individualisierungsprozesses erhoben werden, dienen dem Aufbau einer dauerhaften, individuellen Beziehung zu jedem Abnehmer.
Betrachten wir die Definition etwas genauer, lassen sich folgende Eigenschaften und Charakteristika der Mass Customization herausstellen:
-Mass Customization stellt durch Kommunikation mit jedem einzelnen Kunden Produkte bereit, die dessen genaue Bedürfnisse hinsichtlich bestimmter Produkteigenschaften exakt treffen. Dies kann dazu führen, daß jedes gefertigte Produkt ein einmaliges Unikat mit der Losgröße 1 ist, kann aber auch heißen, daß ein homogenes Produkt massenhaft gefertigt und nachträglich vom Kunden selbst angepaßt wird.
-Der erste Schritt eines Mass-Customization-Geschäfts ist somit immer die Erhebung der Kundenwünsche und deren Überführung in eine konkrete Produktspezifikation, das kundenindividuelle Produkt. Wir werden diesen Vorgang im folgenden mit Erhebung der Individualisierungsinformation bezeichnen. Ein gelungenes Mass-Customization-Geschäft zeichnet sich auch dadurch aus, daß dieser Vorgang für den Kunden so einfach wie möglich abläuft -- ohne die hohe Komplexität und Mühe, die sonst oft mit der Bestellung individuell maßgeschneiderter Waren und Leistungen notwendig ist.
-Mass Customization bedeutet in erster Linie Differenzierung durch Varietät, das heißt die Erstellung von Produkten in so vielen Varianten, daß die Wünsche jedes relevanten Kunden erfüllt werden. Jedoch erreicht Mass Customization eine Differenzierung neben der Varietät auch über andere Ansatzpunkte wie die Erstellung kundenbezogener Dienstleistungen, ein besonderes Produktimage oder einen hohen Lieferservicegrad (Differenzierungsoption).
-Der Preis, zu dem das kundenindividuelle Produkt am Markt angeboten wird, entspricht ungefähr dem Preis eines vergleichbaren Standardgutes. Dies wird nicht dadurch erreicht, daß ein Hersteller aus Marketinggründen eine interne Kreuzsubventionierung der individuellen Produkte durch andere Produkte durchführt, sondern durch effiziente Fertigung und kostengerechten Vertrieb der Produkte. Diese Forderung nach einem relativ günstigen Kostenniveau bezeichnen wir mit der Kostenoption der Mass Customization.
-Mass Customization zielt auf einen großen Absatzmarkt, dessen Kunden sich bezüglich ihrer Wünsche an bestimmte Eigenschaften des jeweiligen Produkts unterscheiden. Die Marktgröße ist dabei relativ zu sehen: In der Bekleidungsindustrie kann der relevante Markt viele Millionen Menschen umfassen. Für den Hersteller eines Fertighauses ist schon ein Markt von einigen Hundert Abnehmern ein großer Massenmarkt.
-Ein Mass Customizer nutzt die während der Interaktion zwischen Abnehmer und Hersteller bzw. Händler gewonnenen Informationen zum Aufbau einer dauerhaften Kundenbeziehung, von der auch der Abnehmer profitieren kann. Dieser Aspekt wurde bislang nur knapp angesprochen. Die Möglichkeit, durch ein Mass-Customization-Konzept dauerhafte Kundenbeziehungen aufzubauen und somit einen beständigen Wettbewerbsvorteil zu generieren, erscheint uns aber derart wichtig, daß sie in unsere Definition aufgenommen werden soll (dies ist eine sogenannte Learning Relationship).
Massenfertigung und Mass Customization schließen sich nicht gegenseitig aus. Ein Mass Customizer kann durchaus weiterhin Standardversionen eines Produkts für einen homogenen Massenmarkt fertigen und gleichzeitig eine kundenindividualisierte Version des Produkts anbieten.
Ist nun unter Mass Customization auch zum Beispiel ein klassisches Baukastensystem zu verstehen? Die Puristen unter den Mass-Customization-Verfechtern werden dies ablehnen. Wir aber zählen auch diese Möglichkeit als eine Form der Mass Customization hinzu, solange die Baukastenbildung (a) die Fertigung eines Produkts genau entsprechend den jeweiligen Wünschen eines Kunden erlaubt und (b) das solcherart individualisierte Produkt nicht mehr als ein vergleichbares Standardprodukt kostet. Wie Sie in der Einführung bereits gesehen haben, ist die Modularisierung, das heißt die Erstellung von Gütern aus standardisierten Bauteilen und Modulen, sogar ein wesentlicher Schritt in Richtung Mass Customization.
Allerdings ist eine Abgrenzung der Mass Customization ganz deutlich zu betonen: Mass Customization ist keine Variantenfertigung! Variantenfertigung bedeutet, den Kunden so viel Auswahl unter verschiedenen ähnlichen Produkten zu bieten, daß sie ein Produkt finden, das ihren Wünschen ungefähr entspricht. Doch oft ist dieser Auswahlprozeß aufwendig und langwierig und führt dennoch nicht zum gewünschten Ergebnis. Mass Customization dagegen impliziert, daß die Kunden keine Auswahl treffen müssen, sondern einfach nur genau das Produkt bekommen, das sie wollen.
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